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Wie gehen wir mit Konflikten um?

Es gibt ein grosses Angebot wie man mit Konflikten umgehen kann. Entsprechend gibt es viele Ansätze und Methoden der Bearbeitung. Trotz vieler Bemühungen um ein friedlicheres und harmonischeres Miteinander ist nicht zu übersehen, dass Konflikte und Krisen, Spaltungen und Ausgrenzungen sowohl auf privater als auch auf gesellschaftlicher Ebene zunehmen und zu vielseitigen Belastungen führen.

Ich sehe deshalb einen grossen Handlungsbedarf. Aber wie könnte eine idealere Konfliktkultur der Zukunft aussehen? Was würden sich unsere Kinder und die nächstfolgenden Generationen wünschen? Dies ist sicherlich keine einfache Fragestellung. Um sich ihr anzunähern, lohnt es sich auf ein faszinierendes Naturphänomen zu blicken.

Was zeigt uns die Natur?

Interessanterweise können Störungen in der Natur zu grossartigen neuen Gestaltungsprozessen führen. So beispielsweise wenn ein Fremdkörper in eine Muschel eindringt. Das Mantelgewebe der Muschel beginnt den Eindringling zu umschliessen und sondert Perlmutt ab. Der eingedrungene Fremdkörper wird wieder und wieder mit Perlmuttschichten überzogen. Indem sich also eine Perle ausformt, wird der Eindringling abgetötet und der Muschel droht nicht länger eine Gefahr.

Zwei Dinge fallen bei diesem Naturphänomen auf. Zum einen würde die Muschel ohne den Störenfried keine Perle bilden. Zum anderen ist bemerkenswert, dass die ganze Kraft der Muschel darauf ausgerichtet ist, eine neue leuchtend schimmernde Perle zu bilden. Die Beseitigung der Störung ergibt sich wie von selbst, indem etwas Neues gebildet wird.

Eine idealere Konfliktbearbeitung

Interessant ist es, die Besonderheit dieses Vorganges auf den Umgang mit Konflikten zu übertragen. Für die konfliktbetroffene Person würde dies heissen, dass sie ihre Aufmerksamkeit und Kräfte nicht primär auf das Konfliktgeschehen richtet, sich also nicht die Frage stellt «Wie komme ich aus dem Konflikt heraus?». Vielmehr wäre sie aufgefordert der Frage nachzugehen, «Was kann ich für neue Qualitäten, Fähigkeiten oder Errungenschaften entwickeln, die fehlen und das Leben bereichern?». Auch müsste sie ein Vertrauen haben, dass sich der Konflikt dadurch lösen kann – wie das Beispiel der Verwandlung des Störenfrieds in eine Perle eindrücklich zeigt.

Soweit einmal die Theorie. Welche Bedeutung eine solche Vorgehensweise in der Praxis hat, kann das folgende Beispiel aus meiner Arbeit verdeutlichen. Dabei erscheint es mir sinnvoll, die beiden soeben erwähnten Vorgehensweisen zu vergleichen.

Praxisbeispiel: Verlust der Arbeitsstelle aufgrund von Schikanen

Die Ausgangslage war, dass eine Arbeitnehmerin im mittleren Kader mich als Rechtsanwalt aufsuchte. Sie war schon länger allerlei Schikanen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Gespräche mit der Arbeitgeberin fruchteten nicht. Im Verlaufe der Beratungsgespräche wurde der Klientin gekündigt.

In vielen Fällen von Arbeitsplatzverlusten aufgrund eines asozialen Arbeitsklimas, konzentriert man sich darauf, dass die betroffene Person keinen seelischen Schaden davonträgt und wieder eine neue Arbeitsstelle findet. Je nach Beweislage wird man sich überlegen, ob ein gerichtliches Vorgehen, eventuell wegen Fürsorgepflichtverletzung seitens der Arbeitgeberin Sinn macht.

Im vorliegenden Fall wurde aufgrund der Beweislage auf eine Klage verzichtet. Stattdessen führte ich im Verlauf der Beratung langsam die Idee herein, dass das unschöne Geschehen als Sprungbrett für Neues genutzt werden könne. Nach anfänglichem Zögern seitens der Klientin stand immer mehr die Frage im Zentrum, was aus dem Ganzen entstehen kann und will. Durch die Herausarbeitung der Frage, woran es im Betrieb gefehlt hat und unter Berücksichtigung der Interessen der Klientin entstanden erste Ideen, die gemeinsam bewegt und ausgearbeitet wurden. Die Klienten setzte sich schliesslich zum Ziel, eine Anstellung mit mehr Kompetenzen zu finden, wo es ihr möglich wäre, eine Betriebskultur des gegenseitigen Förderns zu entwickeln. Ein halbes Jahr später eröffnete sich tatsächlich eine solche Möglichkeit. Die Klientin sagt heute, dass sie dank der belastenden Erfahrung, der ihr doch manches abverlangt hat, einer viel sinnerfüllteren Arbeit nachgeht und einen Beitrag für eine bessere Welt leisten kann.

Wer wagt, der gewinnt

Steckt man mitten in einem Konflikt – in dem seelische Verletzungen einem erschüttern, die Emotionen einem überwältigen und dadurch den weiteren Weg nicht sieht oder gar Existenzängste aufkommen – kann eine solche Zielsetzung recht utopisch klingen. In meinen Praxisfällen zeigt sich jedoch, dass oftmals mehr möglich ist, als die Gefühle es einem weissmachen wollen. So teilte mir die oben genannte Frau, die anfänglich in einem sehr erschöpften Zustand zu mir kam, mit, dass ab dem Moment, wo sie eine neue Perspektive zu denken begann, ihr zunehmend neue Kräfte zuflossen.

Dieser und viele andere Fälle zeigen mir, dass es sich lohnt, den Konflikt als Sprungbrett für neue Möglichkeiten und Perspektiven zu nutzen. Meine Erfahrungen lassen mich zum Schluss kommen, dass Konflikte an den Menschen herantreten um einen Schritt voranzugehen, für sich und die anderen.

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